Spannende Fachdiskussionen sind etwas Herrliches. Ich liebe das. Und offenbar geht es Roland Schmid als Personalleiter ähnlich. Sonst wäre aus einem kurzen Kommentar auf LinkedIn wohl kein so inspirierender Austausch geworden. Angefangen hat alles mit der Frage, ob Führung mit Algorithmen dabei helfen kann, eine größere Anzahl von Mitarbeitenden zu verantworten. Und dann haben wir gewettet, den jeweils anderen überzeugen zu können.
Beim ersten Gespräch waren wir uns sofort einig, dass wir nicht nur bekannte Positionen über KI und Führung austauschen wollten (bei Interesse dazu Erfolgreich führen in einer digitalisierten Welt). Uns ging es um handfeste Erfahrungen und Sichtweisen »aus der Praxis«. Da ich zugegebenermaßen bei dem Thema voreingenommen bin, wurde Roland Schmid zum offiziellen Schiedsrichter unserer Wette bestimmt.
Schon das erste Gespräch war extrem spannend für mich, weil ich in all meinen Berater-Jahren nie mit der Welt der Behörden, die Roland Schmid so gut kennt, zusammengearbeitet habe. Funktioniert die Führungsaufgabe in einer städtischen Behörde anders? Was heißt dort Erfolg? Und welchen Einfluss mögen die spezifischen Bedingungen haben?
Schnell war mir klar, in Roland Schmid zu solchen Fragen einen erfahrenen Gesprächspartner zu haben. Das war großartig. Er machte deutlich, Führung als sehr persönliches Thema zu erleben, das für ihn mit Begegnung, Vertrauen und gelingendem Miteinander zu tun hat. Dies an Algorithmen „delegieren“ zu können, erschien ihm kaum möglich.
Nun beschäftigen wir uns bei Lead2gether seit gut 10 Jahren genau mit dieser Herausforderung. Da werde ich doch wohl diese Wette gewinnen können. Dachte ich.
Führung als Aufgabe nachvollziehbar
Roland Schmid konnte mich schnell überzeugen, dass es bei der Führungsaufgabe stets um Menschen geht, und damit auch um eine Art »Grundvertrauen« im Miteinander. Ihm fiel es andersherum nicht schwer, Führung mit mir als Aufgabe zu verstehen, und nicht als ein spezielles Verhalten oder eine besondere Kompetenz.
Nun dachte ich, die Wette praktisch schon gewonnen zu haben.
Ich argumentierte, dass Algorithmen oder eine KI bei dieser Aufgabe eine solche Erleichterung sein könnten, dass man die Anzahl der Mitarbeitenden erhöhen darf – und zwar, ohne das von Roland Schmid betonte Grundvertrauen zu gefährden.
Da er skeptisch blieb, boten wir ihm an, auszuprobieren und selbst zu erleben, wie unser »Digitaler Führungsassistent« an diese Herausforderung herangeht. Und wir vereinbarten, beim nächsten Termin den Sieger unserer Wette zu küren. Spoiler: Es wurde lehrreicher für mich als erwartet.
Führung mit »Navigationssystem« ungewohnt
Um es kurz zu machen: Roland Schmid hat mich überzeugt, dass es sich für viele Menschen wohl noch lange ungewohnt anfühlt, mit einer Maschine über persönliche Einschätzungen rund um die eigene Führungssituation zu „sprechen“. Und das, obwohl er die Führungsprioritäten und Tipps, die unser digitaler Führungsassistent ihm nach der Situationsanalyse vorschlug, absolut nachvollziehen konnte.
Tatsächlich hatten wir vor einigen Jahren in großen Pilotprojekten selbst ähnliche Erfahrungen gemacht – und uns deshalb auch entschieden, von nun an den Nutzer*innen unseres »Führungsnavigators« einen menschlichen Sparringspartner zur Seite zu stellen. Ganz nach dem Motto »Das Beste aus beiden Welten«.
Während Algorithmen viel besser – und schneller − mit Komplexität zurechtkommen als wir alle, können Menschen wohl leichter Vertrauen aufbauen, Verbindlichkeit fördern und sensibel mit Feinheiten umgehen. Interessanterweise kann uns diese »Sensibilität« wiederum im Wege stehen, wenn wir objektiv sein wollen oder nüchterne Prioritäten setzen müssen.
Wir Menschen sind ein „bunter Haufen“
Gleichzeitig sind wir Menschen in all diesen Punkten wohl sehr unterschiedlich. So gibt es z.B. durchaus Hinweise, dass manche von uns sehr intime Themen sogar eher mit einer Maschine besprechen als mit einem lebendigen Gegenüber. Das ist nicht so peinlich, lässt uns selbst unverkrampfter sein und sorgt für weniger Tabus. Auch Tipps von einem Computer erscheinen vielen von uns objektiver und damit zweckmäßiger.
Andere wiederum erleben alles Technische im zwischenmenschlichen Bereich als prinzipielle Bedrohung oder zumindest unangemessene Herangehensweise an soziale Themen. So lässt sich vermuten, dass sich – wie so oft – auch an dieser Stelle keine Ideal-Lösung herauskristallisieren wird, mit der dann die ganze Menschheit arbeitet.
Ach ja: Roland Schmid und ich haben uns zum Schluss lachend auf ein Unentschieden geeinigt. Und ich werde an unseren Austausch immer sehr gerne zurückdenken. Von Herzen Danke dafür!
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Welchen Sinn machen eigentlich Hunderte von Followern in den Sozialen Netzwerken? Und warum sollte uns jemand – ob in einer Organisation oder z.B. auf LinkedIn – freiwillig folgen? Lassen Sie uns beleuchten, was Networking mit Führung zu tun hat – und was nicht.
Wir Menschen haben selten mehr als 3 echte Freunde, rund 15 wirklich gute Bekannte und vielleicht 150 Personen, mit denen wir immer mal wieder im losen Kontakt sind. Wir können dieses Phänomen als eine Art archaisches Psycho-Erbe betrachten, das mit unserer Evolution zu tun hat. Sehen Sie ruhig einmal Ihr Adressverzeichnis durch. Warum reizt uns dann aber überhaupt das manische Sammeln von Followern auf Sozialen Plattformen oder eine wachsende Anzahl von Mitarbeitenden?
Den einen gibt die Führungsrolle bzw. die Anzahl der eigenen Follower die süchtig machende Illusion der persönlichen Bedeutsamkeit. Andere möchten mithilfe von Networking und Followern etwas für sich persönlich erreichen, d.h. die eigene »Reichweite« erhöhen.
Und wieder andere bekommen von ihrem sozialen Umfeld eine echte Führungsaufgabe geradezu „aufgetragen“. Wie kann das?
Networking: Wie aus Kontakten Follower werden
Schon unsere Urahnen wussten, dass man zusammen mit Anderen etwas Größeres bewirken kann. Daher entstehen echte Gemeinschaften stets um ein Problem, das alleine nicht lösbar ist. Auf dem Weg dorthin lassen sich – durch die Brille des Networking betrachtet – einige Stufen entdecken:
Kontakte sammeln (je-mehr-desto-besser): Das ist vor allem dann eine sinnvolle Strategie, sofern Ihr persönlicher Marktwert von der Anzahl Ihrer Follower abhängt. Sind Sie Influencer, Bestseller-Autorin, Schauspieler, Politikerin…?
Aufmerksamkeit provozieren (je-schreiender-desto-besser): Überhaupt beachtet und wiedererkannt zu werden, wird immer wichtiger, je größer Gesellschaften werden. Diese Strategie kann aber in Konflikt mit Stufe 3 kommen. Sind Sie in einem hoffnungslos überfüllten „Markt“ aktiv?
positive Reaktionen erhalten (je-wertiger-desto-besser): Ab hier wird es langsam schwierig. Viele Beteiligte im Netz wollen aus dem Hintergrund heraus nur egoistisch etwas mitnehmen, ohne dabei belohnen zu müssen oder Arbeit zu haben. Haben Sie Relevanz für andere?
in den Austausch kommen (je-echter-desto-besser): Ein Miteinander beginnt im Grunde erst durch aktive Kommunikation, und damit wird der Kreis von echten Kontakten in ganz natürlicher Weise kleiner (s.o.). Sind Sie authentisch und zugleich professionell genug, auf offener Bühne mit unterschiedlichen Persönlichkeiten ins Gespräch zu gehen?
gegenseitige Unterstützung (je-partnerschaftlicher-desto-besser): Kontakte werden stabiler oder gar freundschaftlicher, wenn man füreinander da ist. Ihr Netzwerk wird zwangsläufig damit noch etwas kleiner. Sind Sie ein hilfsbereiter Mensch, der nicht alles „aufrechnet“?
echte Begegnungen (je-persönlicher-desto-besser): Spätestens an dieser Stelle verlassen wir die digitale Welt, und mit jedem Schritt werden der zeitliche Aufwand und die emotionalen Risiken größer. Wir überlegen uns sehr gut, mit wem wir uns persönlich treffen möchten. Haben Sie noch Platz in Ihrem Leben für neue Begegnungen?
Wir Menschen schätzen wirkungsvolle Mitglieder unserer Gemeinschaft, die aus einer erlebten Gesamtverantwortung heraus und mit einer übergreifenden Perspektive „auf das große Ganze“ dafür Sorge tragen, dass wir zusammen erfolgreich sind.
Denen folgen wir gerne!
Voraussetzung für diese freiwillige Gefolgschaft ist allerdings, dass wir vor einer Herausforderung stehen, die wir nur zusammen mit einer größeren Gruppe – und nicht selten in Konkurrenz mit einer anderen Gruppe – erfolgreich bewältigen können.
Für die Dinge, die wir allein oder in kleinen Gemeinschaften bewältigt bekommen, erschließt sich für uns der Vorteil einer Führung seltener. Das alles geht weit über Networking hinaus.
Mit diesem Wissen im Kopf lässt sich unsere Liste nun um folgende Stufen ergänzen:
gemeinsames Handeln (je-konkreter-desto-besser): Erst die Abstimmung individueller Ziele und das Verfolgen eines Gemeinsamen Mammuts schaffen die Basis für eine größere Gemeinschaft. Glauben Sie zutiefst daran, dass man mit vereinten Kräften erfolgreicher ist?
dafür Sorge tragen, dass es gemeinsam funktioniert (je-wirkungsvoller-desto-besser): Auf dieser Stufe beginnt im Grunde erst das, was man als „echte Führung“ bezeichnen kann. Haben Sie ein klares und handlungsleitendes Führungsverständnis?
Lust auf gemeinsame Zukunft wecken (je-perspektivischer-desto-besser): Besondere Netzwerke und Gemeinschaften haben ein gegenseitiges Zu- und Vertrauen entwickelt. Man glaubt aneinander und arbeitet daran, dass es gemeinsam weitergeht. Haben Sie ein attraktives und glaubwürdiges »Bild der gemeinsamen Zukunft«?
Sie sehen, der Weg von ersten Pseudo-Followern zu einer echten Gefolgschaft, die Sie in einer Führungsrolle legitimiert, ist lang. Warum das so ist lesen Sie hier
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Wer vor wenigen Jahren von Führung in digitalen Zeiten sprach, wollte vor allem sein Unternehmen mit modernster Technik wettbewerbsfähig halten. Inzwischen haben digitale Formen der Zusammenarbeit unseren Arbeits- und Führungsalltag stark verändert. Wir lassen uns von Algorithmen organisieren, sprechen von Remote Leadership und beobachten neugierig, wie sich die »hrtech«-Szene entwickelt. Und viele fragen sich: Erfolgreich führen in einer digitalisierten Welt – Was bedeutet das eigentlich praktisch?
Eine Flut digitaler Produkte[i] verspricht, unsere Zusammenarbeit zu fördern und die Personalarbeit zu revolutionieren. Die Anbieter-Szene tritt selbstbewusst unter dem Hashtag »HRtech« auf. Sie ist in den letzten Jahren immer vielfältiger geworden[ii] und jongliert gerne mit beeindruckenden Schlagworten.[iii] Begriffe wie Künstliche Intelligenz, Big Data oder Deep Learning können verunsichern, denn sie vermitteln den Eindruck, der gesunde Menschenverstand reiche in Zukunft nicht mehr aus.
Mit etwas Abstand stellt man fest: Digitale Führungstools verursachen noch keine Revolution. Die Kernaufgaben der Führung verändern sich auch unter den neuen Bedingungen nicht. Was man früher am Besprechungstisch und im direkten Kontakt machte, findet einfach jetzt häufiger am Bildschirm oder über die App statt.[iv]
Digitale Zusammenarbeit: Mit neuen Werkzeugen managen
Somit geht es in erster Linie darum, von den Vorteilen solcher Werkzeuge zu profitieren – und auf deren Nebenwirkungen angemessen zu reagieren. Das scheint allerdings ein wichtiger Aspekt zu sein, denn die Erfahrungen der Pandemiezeit zeigen, dass hybrides Arbeiten z.B. den Zusammenhalt, die Loyalität und das gegenseitige Vertrauen im Team gefährdet.[xvii] Auch die Distanz der Führungskräfte zu ihren Mitarbeitern wächst unter den aktuellen Bedingungen, wie eine Microsoft-Studie belegt.[xviii]
Tipps:
Arbeiten Sie sich ernsthaft in die digitalen Werkzeuge ein, die Ihr Unternehmen zur Verfügung stellt. Nichts davon ist Hexenwerk.
Lassen Sie sich von der Vielfalt der Angebote und Lösungen nicht verunsichern. Kaum etwas davon revolutioniert die Führungsarbeit in ihrem Kern.
Entwickeln Sie Neugier für die Szene, und probieren Sie vielversprechende Lösungen spielerisch aus.[v]
Werden Sie sensibel für die Neben- und Spätfolgen digitaler Führungswerkzeuge, und stellen Sie Ihr Verhalten darauf ein.
Digital Leadership: Hype oder »Götterdämmerung«
Spannend wird die Diskussion im Grunde erst, wenn die Technik beginnt, Führungskräfte aktiv zu unterstützen. Der Führungsforscher Niels Van Quaquebeke[vi] nennt dies das »NEW« des Digital Leadership. Hier sollen Algorithmen – wie sie es an vielen Stellen tun – nun auch Führungskräfte von regelmäßigen und strukturierten Aufgaben befreien. Das (Verkaufs-)Argument: So können diese sich auf kreative bzw. unternehmerische Aufgaben konzentrieren und haben mehr Zeit für motivierende persönliche Begegnungen.
Erfolgreich führen in einer digitalisierten Welt bedeutet aus dieser Perspektive, es so lange wie möglich zu vermeiden, durch eine KI ersetzt zu werden. Auch wenn die Experten sich einig sind, dass die Führungsrolle noch nicht zu den durch Künstliche Intelligenz gefährdeten Berufen zählt: völlig geklärt ist das nicht.
Während die einen Künstliche Intelligenz zum »HRtech-Mythos« verklären, macht sich an anderer Stelle Ernüchterung breit.[vii] Fachleute wissen, wie oft Big Data mit unseriösen Daten, trivialer Statistik und wenig aussagefähigen Algorithmen arbeitet.[viii] Prof. Kristian Kersting (Träger des „Deutschen KI-Preises 2019) geht sogar so weit, die Bedeutung von Deep Learning-Ansätzen für die Psychologie, die Wirtschaft und andere Sozialwissenschaften grundsätzlich zu hinterfragen.[ix] Die Behauptung, Maschinen könnten auf diesem Spielfeld den Menschen ersetzen oder übertreffen, bezeichnet er als reinen Etikettenschwindel.[x]
Nüchtern muss man heute registrieren: Obwohl die HR-Community die Chancen und Risiken Künstlicher Intelligenz lebhaft diskutiert, kommt entsprechende Software noch selten zum Einsatz.[xi] Dabei spielen nicht nur sachliche Gründe eine Rolle, sondern auch der fehlende Mut für ungewohnte Experimente – und den damit verbundenen Zusatzaufwand.
Es gibt allerdings Ausnahmebereiche…
Digitale Steuerung: Algorithmen managen lassen
Algorithmen machen sich bereits in der Fertigung, Zusammenarbeit und Logistik nützlich. Sie bereiten Entscheidungen oder Arbeitsprozesse vor, bewerten das Mitarbeiterverhalten und die Stimmung im Team[xii] und übernehmen in manchen Unternehmen bereits die Kündigung.[xiii] Die damit verbundenen ethischen Fragen werden engagiert diskutiert.[xiv]
Dieses »Algorithmische Management«[xv] führt unausweichlich zu mehr Überwachung am Arbeitsplatz und zur Entfremdung zwischen der Organisation und den Mitarbeitern. Die Entmenschlichung der Arbeit wird weiter vorangetrieben: Mitarbeiter bewegen sich nur noch mit Wearables (tragbare Sensoren), ihre Bewegungsdaten und Bildschirmaktivitäten werden aufgezeichnet, analysiert und in einfach lesbare Kennzahlen umgewandelt.[xvi]
Das Tragische: Die Betroffenen erleben sich nicht mehr als verantwortungsvolle Mitglieder attraktiver Leistungsgemeinschaften, sondern als Komponenten eines digital gesteuerten Arbeitsprozesses. Dass gleichzeitig weltweit die Nachfrage nach Software steigt, mit der sich Mitarbeiter – nicht nur im Homeoffice – überwachen lassen, sollte uns Gedanken machen.〈xvi-2〉
Und was ist dabei aus dem „Verkaufsversprechen“ geworden? Nutzen Führungskräfte die gewonnene Zeit für echte Begegnungen und individuelle Führungsarbeit?
So sieht die Realität derzeit nicht aus. Vielmehr versuchen findige Entwickler, nun auch den zwischenmenschlichen Bereich der Führung zu besetzen: Algorithmen können heute bereits die Emotionen der Belegschaft bewerten und Korrekturmaßnahmen einleiten, wenn diese die Ergebnisse gefährden könnten („Bitte registrieren Sie sich für unser Achtsamkeitsprogramm und nutzen Sie die Burnout-Prophylaxe-App.“).
Wollen wir uns Führung in einer digitalisierten Welt so vorstellen?
Merkwürdig wäre das schon, da wir bei menschlichen Führungskräften ganz andere Maßstäbe anlegen: Von denen erwarten wir Wertebewusstsein, die Fähigkeit, ein begeisterndes Wir-Gefühl zu fördern, attraktive Perspektiven anzubieten − und immer häufiger sogar »Sinnmöglichkeiten« zu schaffen.
Besteht damit der logisch nächste Schritt darin, bei der Programmierung der »ultimativen Führungs-KI« all diese noch vernachlässigten Themen mit zu berücksichtigen?
Digitale Chefs: Wann werden wir von einer KI geführt?
Um eine solche Vision zu verwirklichen – wie wünschenswert oder bedrohlich sie sein möge –, müssten wir gigantische Hürden nehmen. Zunächst einmal würde eine echte »Führungs-KI« von uns eine harte Definition von Führungserfolg erwarten. Denn nur so könnte sie sich selbst weiter optimieren.
Wir müssten also beantworten, was wir exakt meinen, wenn wir von »erfolgreicher Führung« sprechen. Eine Frage, um die seit Beginn der Führungsforschung gerungen wird. Stand heute: uneindeutig!
Im Anschluss bräuchten wir Unmengen von führungsrelevanten Daten, um unsere KI zu trainieren. Daten, die wir weder haben noch bekommen werden. Und selbst wenn solche Daten vorhanden wären, müssten Menschen diese erst mühevoll brauchbar machen. Zum Vergleich: Bei einem seriösen Spracherkennungssystem verschlingt allein eine solche Qualifizierung der Daten 95 Millionen Euro, bevor eine einzige Zeile KI programmiert werden kann.[xix] Wirklich selbständig läuft da gar nichts.[xx]
Kurz: Es ist sehr unwahrscheinlich, dass wir in absehbarer Zeit von einer KI geführt werden!
Vielversprechender ist der Ansatz, Computern beizubringen, wie sie Führungskräfte in ihrer Aufgabe erfolgreicher machen können. Nachweislich schneiden Mensch-Maschine-Teams bei komplexen, dynamischen Aufgaben erfolgreicher ab als Menschen oder Maschinen unter sich.[xxi] Dieser Weg wird unter dem Stichwort »Digital Leadership Assistant« beschritten.
Digitale Führungsassistenten: Mit „Navigationssystem“ managen
Solche Systeme arbeiten nicht daran, Führungskräfte in bestimmten Führungsaufgaben zu ersetzen. Stattdessen erleichtern sie ihnen deren Bewältigung.[xxii] Dabei berücksichtigen sie Studien, die die Reaktion von Menschen auf eine KI als Führungskraft erforscht haben[xxiii] und nutzen die unbestrittenen Vorteile cleverer Algorithmen:
Diese können besser als wir mit komplexen Situationen – wie Führungssituationen sie darstellen – umgehen (z.B. Analysen vornehmen, Erfolgsfaktoren identifizieren und Prioritäten setzen).
Seit die besten GO- und Schach-Spieler der Welt von Computern besiegt werden, wissen wir: Algorithmen können nüchterner Vorgehensweisen empfehlen, die mit der größten Wahrscheinlichkeit zum Erfolg führen.
Und bereits lange ist bekannt, wie wertvoll sie dabei sind, unsere Arbeit pragmatisch und effizienter zu organisieren.
Im Führungskontext können Algorithmen heute schon auswerten, wie herausfordernd die aktuelle Situation für die jeweilige Führungskraft ist, auf welche Führungsthemen sie sich konzentrieren muss und welchen zeitlichen Aufwand sie dafür einplanen sollte.
Gleichzeitig ist ein »Digital Leadership Assistant« in der Lage, praktische Tipps zu geben, wie die aktuelle Führungssituation bestmöglich zu bewältigen ist. Durch regelmäßige Aktualisierungen der Situationsanalyse lassen sich die eigenen Führungserfolge sogar mitverfolgen und messbar machen.[xxiv] Und während Sie dies hier lesen, sind die Algorithmen – durch Feedbackprozesse und kuratiertes Lernen – schon wieder schlauer geworden.
Halten wir also abschließend fest: KI-Systeme werden die Führung von morgen massiv beeinflussen. Ob sie dabei eine humane, nachhaltige und innovative Führungskultur fördern, hängt davon ab, wie wir sie konzipieren.
Muss man sie nicht lieben, diese wunderbare New-Work-Idee eines Philosophen von Selbstständigkeit, Teilhabe und Freiheit? Natürlich muss man das! Selbst wenn – oder gerade weil – Frithjof Bergmanns gesellschaftliches Anliegen zum Synonym für alle innovative Ansätze im Berufsleben mutierte. New Work wird allerdings gerade entmystifiziert! Das Virus zwingt uns jetzt, genauer hinzuschauen: Was wirkt wie? Was bedeutet das für die Führungsarbeit? Woran können wir uns orientieren?
Ging es New Work anfangs um den Gegenentwurf zum althergebrachten Arbeitsmodell der 60er Jahre, wird mittlerweile eine lebenswerte berufliche Zukunft – möglichst in lustvollem Ambiente − mit persönlichem Wachstum und sinnhaftem Tun angestrebt. Kurz: Es geht um einen Heilsbringer!
Nun darf man allerdings die Frage stellen, in welchen Zeiten Heilsbringer ihre Funktion wirklich erfüllt haben. Oft entpuppen sie sich als schillernde Seifenblasen, die einen klaren Blick auf die Situation erschweren. Selbst der Begründer des New-Work-Gedankens zeigt sich heute mehr als unzufrieden.
Seifenblase: New Work
Was hat nicht alles Platz unter dem Label »New Work« gefunden: Der anfängliche Wunsch nach frei zur Verfügung stehender Arbeitszeit wuchs sich zur Vertrauensarbeitszeit und Sabbatical-Angeboten aus. Bald konnte man darüber hinaus Job oder Schreibtisch teilen, von Tagen im Home-Office profitieren, sich im Co-Working üben oder davon träumen, in einem kreativen Dauer-Flow und ohne Hierarchien zu arbeiten. Weltweit bekannte Großunternehmen zahlten für einen Besuch bei wirtschaftlich unbedeutenden Mikro-Firmen viel Geld, um sich anzuschauen, wie das funktionieren kann: das Chefsein zu beenden.
Das prägende Motiv: Die von den Unternehmen hart umkämpften Mitarbeiter*innen wollen sich stärker gewürdigt sehen, lustvoll und frei arbeiten und an spannenden Themen beteiligt werden. Viele Ansätze waren insofern auch als Waffen im »War for Talents« zu verstehen.
All dies schien zu einem festen Bestandteil des Zeitgeistes geworden zu sein, der seinen jüngsten Gipfel damit erreichte, dass sich z.B. die Xing SE in New Work SE umbenannte. Die begründete dann harte Einsparziele mit der Corona-Situation.
Von der eigenen Fan-Gemeinde vor lauter Begeisterung – und oft auch massivem Geschäftssinn − aufgeblasen, stand die Seifenblase bald vor dem Platzen: Agile Methoden führten bedauerlicherweise nicht automatisch zu besseren Leistungen und aufsehenerregende Ideen − z.B. Holokratie und Soziokratie – tauchten in der Praxis kaum auf. Gleichzeitig mehrten sich Berichte über kritische Nebenwirkungen der New-Work-Ansätze. Die paradoxe Erkenntnis: Es bedarf einer beachtlichen Führungsleistung, um deren Umsetzung im Unternehmen nicht zu einem völligen Flop werden zu lassen.
Und dann kam Corona…
Wer gerade noch das eigene Verhalten an den Vorbildern des »Agilen Coachs« und des »Moderators auf Augenhöhe« orientierte oder gar Führung überflüssig machen wollte, stolperte plötzlich durch eine Welt entschlossen agierender Krisenmanager. Eine weltweite Studie mit 27.000 Manager*innen aus 48 Ländern belegte inzwischen die signifikante Zunahme autoritärer Führung während der Pandemie.
Nach dem ersten Schock kam es – insbesondere von Beraterseite − zu einer Verteidigungswelle: Man freute sich lautstark über den digitalen Schub, wies auf die hohe Anpassungsfähigkeit agiler Unternehmen hin und betonte Remote und Digital Leadership: Nur so könne man in der noch unberechenbarer gewordenen VUCA-Welt bestehen.
Die intensive Homeoffice-Situation sei der ultimative Beleg dafür, dass New Work nun vollständig in der Wirtschaft angekommen sei. Gerne werden Befragungen zitiert, in denen die Betroffenen ihre Zufriedenheit mit der Arbeit von Zuhause bekunden. Ein Schelm, wer darauf hinweist, dass Zufriedenheit ja keinesfalls bedeutet, erfolgreich und produktiv zu sein. Studien zur Frage der Leistungsfähigkeit übergreifender Homeoffice-Konzepte gibt es noch nicht, und die erlebten Einschränkungen schmerzen (vermisster persönlicher Austausch, sinkende Loyalität, reduzierte Kreativität, Entgrenzung von Berufs- und Privatleben…).
Erhebungen zeigen, dass es kaum Veränderungen gab, die mehr als das unvermeidbare Ergebnis der Corona-Beschränkungen waren. Der verstärkte Einsatz digitaler Technologien und Kommunikationsformen, der Homeoffice-Boom oder die virtuelle Zusammenarbeit: Offenbar aus der Not geboren! Die Produktivität leidet oft ebenso wie die mentale Verfassung derjenigen, die mit Doppel- und Dreifachbelastungen kämpfen. Wollen wir hier wirklich Vorzeichen eines Kulturwandels im Sinne des New Work erkennen? „Letztlich steckt auch hinter der viel beschworenen Demokratisierung der Unternehmen nur der Versuch, im Sinne der Profitmaximierung noch besser auf die Arbeitskraft des Mitarbeiters zugreifen zu können.“, meint Prof. Stefan Kühl von der Universität Bielefeld (Wirtschaftspsychologie aktuell, 2/2016, S. 58).
Resultate zählen
Viele Organisationen werden in den kommenden Jahren mit der Krisenbewältigung beschäftigt sein. Nach wie vor – oder vermutlich sogar stärker denn je − geht es um handfeste Ergebnisse. Alle Maßnahmen verlieren an Bedeutung, die nicht auf die Wertschöpfung einzahlen, der Liquiditätssicherung dienen oder zu Effizienz- und Effektivitätsgewinnen führen. Wenn Bahn-Chef Richard Lutz in der WirtschaftsWoche (09.04.2020) erklärt, „dass wir uns ganz viel davon auch in der Zeit nach Corona erhalten werden“, dann einfach, weil es „effektiv und effizient ist“. Facebook und Allianz wollen ihre Mitarbeiter*innen dauerhaft ins Homeoffice bekommen. Um berufliche Sinnstiftung geht es ihnen dabei nicht. Vielmehr denken sie ebenso in Einsparungspotenzialen, wie die „Daily News“, die ihre Büros ganz aufgeben will.
In Momenten der Wahrheit – wie wir sie häufig in diesen Zeiten multipler Krisen erleben – wird deutlich, dass erfolgreiche Führung nicht dadurch zustande kommt, das richtige Mindset zu haben, dem Zeitgeist zu folgen oder bestimmte Techniken einzusetzen. Ungeschminkt tritt plötzlich hervor, worum es in dieser Rolle wirklich geht: Dafür Sorge zu tragen, dass es gemeinsam (weiter) funktioniert!
Diese nüchterne Tatsache entzaubert viele New-Work-Mythen. Jetzt wird sich zeigen, worauf es tatsächlich ankommt – und was dem Zeitgeist geschuldet war.
Die Essenz der Führung
Es könnte eine wertvolle Nebenwirkung der Krise sein, differenzierter über die fundamentalen Kernaufgaben der Führung nachzudenken − und Gesinnungskriege einzustellen. Die wesentlichste Erkenntnis ist vielleicht: Führung ist kein Verhalten, sondern eine Aufgabe! Und die lässt sich nicht nur auf unterschiedlichste Weise erfüllen, sie verlangt auch ein sehr individuelles und situatives Vorgehen.
Das kann unter bestimmten Voraussetzungen Selbstorganisation, Homeoffice und agile Methoden erfordern. Unter anderen Bedingungen mögen aber auch klare Anweisungen, zentralisierte Entscheidungen und hohe Prozess-Disziplin sinnvoll sein. Eben deshalb ist die paradoxe Lage erklärbar, dass wir einerseits dominanten, unfassbar reichen Unternehmer-Persönlichkeiten huldigen − und zugleich fasziniert auf scheinbar führungslose Gemeinschaften von Aktivisten blicken.
Es ist schwer, in diesem widersprüchlichen Durcheinander nicht die persönliche Orientierung zu verlieren. Wird Führung stetig komplizierter? Wird sie völlig anders, überflüssig oder digitalisiert? Reinhard K. Sprenger ist skeptisch: „Ich erwarte etwas – und zwar nichts Neues. Auch nichts Neues in Bezug auf Führung, Vertrauen und Motivation. Allenfalls das Auffinden von Altem.“ (managerSeminare, Heft 267, Juni 2020). Damit steht er in der Tradition des Evolutionären Führungsmodells, das Führung als uralte Aufgabe beschreibt, die in Hunderttausenden von Jahren ´bleibende Spuren´ in uns hinterlassen hat.
Noch bleibt abzuwarten, welchen Einfluss die aktuellen Krisen langfristig auf unser Führungsverständnis haben wird. Im Kern geht es jedoch stets um die erfolgreiche gemeinsame Leistungserbringung. Zweifellos werden wir von jetzt an noch stärker herausgefordert, die individuellen Wünsche und betrieblichen Belange erfolgreich auszubalancieren. Dabei moralisierend von außen zu predigen, Manager*innen müssten nur „mehr vertrauen“, „häufiger zuhören“ und „Moderator und Coach“ sein, geht am Wesentlichen ihrer Aufgabe und Verantwortung vorbei!
Der Blog-Artikel basiert auf einer Veröffentlichung, die in PERSPEKTIVEN 11-12/2020 erschien.
Erfolgreiche Führung ist stets etwas Situatives! Durch das Corona-Virus verändern sich die Rahmenbedingungen für Sie jetzt deutlich häufiger als noch vor wenigen Monaten. Wir analysieren die Entwicklungen und geben Ihnen von Beginn der Krise an Führungstipps, die zur aktuellen Lage passen.
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Wer ein größeres Verantwortungsbewusstsein und mehr Sinn für das Gemeinschaftswohl einfordert, steht sicherlich auf der Seite „der Guten“. Aber löst das ein Problem?
Statt über egoistische Manager und falsche Anreizsysteme zu philosophieren, sollten wir uns Klarheit darüber verschaffen, worin Führung im Kern besteht. Was ist ihre Funktion, – und wie können wir gute von schlechter Führung unterscheiden? Die Vielfalt an Situationen und Beteiligten verbietet es zweifellos, eine Ideal-Lösung auf Verhaltensebene zu definieren. Einfacher wird es, wenn wir Führung als Aufgabenspektrum betrachten, das es zu bewältigen gilt (vgl. Natürlich führen, Springer 2013). So lässt sich differenziert bewerten, wem dies in welchem Ausmaß gelingt.
Wertebezogene Mahner und Kritiker der Manager-Gemeinschaft haben keine wirkliche Lösung anzubieten. Sie werden weder den Egoismus noch die Nebenwirkungen des Aktiensystems aus der Welt schaffen können. Im tragischsten Fall werden sie von der relevanten Zielgruppe als irrelevant und naiv abgetan. Dass sie auch Gesinnungsgenossen finden, mag motivieren. Ihre praktische Wirksamkeit wird dadurch – bedauerlicher Weise – kaum erhöht.
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Seit Jahren ähnliche Gallup-Ergebnisse: Schlechte Führungskräfte sollen Deutschland zwischen 77 und 103 Milliarden Euro kosten. Als Ursache dafür werden klägliche Führungskulturen und eine unglückliche Beförderungspolitik verantwortlich gemacht. Viel zu oft werden Manager „nicht für gute Führung belohnt, sondern anhand betriebswirtschaftlicher Kennzahlen bewertet“, kritisiert Marco Nink von Gallup. Die Erkenntnis lautet: Wer gute Zahlen liefert, macht in unserer Unternehmenswelt Karriere, – unabhängig von der eigenen Führungsqualität.
Mit diesem weit verbreiteten Denkmuster und Sprachgebrauch wird subtil vermittelt, dass man weiß, was „gute Führung“ ist – und hervorragende Ergebnisse nahezu ein Beleg für schlechte Führung sind. Beides ist recht weit von der Realität entfernt.
Es ist die ureigenste Aufgabe der Führung, dafür zu sorgen, dass es gemeinsam funktioniert (vgl. Natürlich führen, Springer). In Wirtschaftsunternehmen bedeutet dieses „Funktionieren“, dass Kennzahlen zu erreichen sind. Das Wort „gemeinsam“ weist zugleich darauf hin, dass man nur mit vereinten Kräften und mit einer engagierten Leistungsgemeinschaft im Wettbewerb bestehen kann. Wo bitte findet sich hier ein grundsätzlicher Widerspruch zwischen guter Führung und betriebswirtschaftlichem Erfolg?
Wenn Sie zudem schon einmal unter einem inkompetenten Vorgesetzten gelitten haben, wissen Sie: Es ist auch kein absurder Denkfehler, sachkompetenten Menschen den Erfolg in der (Führungs-)Verantwortung eher zuzutrauen als weniger kompetenten. Worin besteht also das Problem wirklich?
Ich befürchte, unser Verständnis von guter Führung ist viel begrenzter, als wir es uns alle eingestehen. Daher greifen Unternehmen und Entscheider bei Besetzungsfragen – oft recht unbewusst – auf Kriterien zu, die leichter zu fassen sind: (1) messbare Erfolge, (2) sichtbarer Fleiß, (3) spürbare Loyalität, (4) „Pflege-Leichtigkeit“ für die Vorgesetzten und (5) Fähigkeiten der geschickten Selbstvermarktung. Wenn Sie also Karriere machen wollen: Hier haben Sie Ihre 5-Punkte-Checkliste!
Führungsqualität taucht damit in Bezug auf Karriere im Grunde gar nicht auf. Um das zu ändern, müssten wir wohl unsere Selbstgefälligkeit im Umgang mit dem Begriff „gute Führung“ ebenso hinterfragen, wie die Anforderungsprofile unserer Diagnosetools. Auch populäre Schlagworte, wie Agilität, Empowerment, Coaching, Offenheit für Veränderungen oder Feedback- und Fehlerkultur, helfen hier kaum weiter. So bleibt der Kern erfolgreicher Führung verfehlt – und die wirksamste Karriere-Strategie weiterhin unsere 5-Punkte-Checkliste.
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