New Work: Vom Virus infiziert?

New Work entmystifiziert

Muss man sie nicht lieben, diese wunderbare New-Work-Idee eines Philosophen von Selbstständigkeit, Teilhabe und Freiheit? Natürlich muss man das! Selbst wenn – oder gerade weil – Frithjof Bergmanns gesellschaftliches Anliegen zum Synonym für alle innovative Ansätze im Berufsleben mutierte. New Work wird allerdings gerade entmystifiziert! Das Virus zwingt uns jetzt, genauer hinzuschauen: Was wirkt wie? Was bedeutet das für die Führungsarbeit? Woran können wir uns orientieren?

Ging es New Work anfangs um den Gegenentwurf zum althergebrachten Arbeitsmodell der 60er Jahre, wird mittlerweile eine lebenswerte berufliche Zukunft – möglichst in lustvollem Ambiente − mit persönlichem Wachstum und sinnhaftem Tun angestrebt. Kurz: Es geht um einen Heilsbringer!

Nun darf man allerdings die Frage stellen, in welchen Zeiten Heilsbringer ihre Funktion wirklich erfüllt haben. Oft entpuppen sie sich als schillernde Seifenblasen, die einen klaren Blick auf die Situation erschweren. Selbst der Begründer des New-Work-Gedankens zeigt sich heute mehr als unzufrieden.

Seifenblase: New Work

Was hat nicht alles Platz unter dem Label »New Work« gefunden: Der anfängliche Wunsch nach frei zur Verfügung stehender Arbeitszeit wuchs sich zur Vertrauensarbeitszeit und Sabbatical-Angeboten aus. Bald konnte man darüber hinaus Job oder Schreibtisch teilen, von Tagen im Home-Office profitieren, sich im Co-Working üben oder davon träumen, in einem kreativen Dauer-Flow und ohne Hierarchien zu arbeiten. Weltweit bekannte Großunternehmen zahlten für einen Besuch bei wirtschaftlich unbedeutenden Mikro-Firmen viel Geld, um sich anzuschauen, wie das funktionieren kann: das Chefsein zu beenden.

Das prägende Motiv: Die von den Unternehmen hart umkämpften Mitarbeiter*innen wollen sich stärker gewürdigt sehen, lustvoll und frei arbeiten und an spannenden Themen beteiligt werden. Viele Ansätze waren insofern auch als Waffen im »War for Talents« zu verstehen.

All dies schien zu einem festen Bestandteil des Zeitgeistes geworden zu sein, der seinen jüngsten Gipfel damit erreichte, dass sich z.B. die Xing SE in New Work SE umbenannte. Die begründete dann harte Einsparziele mit der Corona-Situation.

Von der eigenen Fan-Gemeinde vor lauter Begeisterung – und oft auch massivem Geschäftssinn − aufgeblasen, stand die Seifenblase bald vor dem Platzen: Agile Methoden führten bedauerlicherweise nicht automatisch zu besseren Leistungen und aufsehenerregende Ideen − z.B. Holokratie und Soziokratie – tauchten in der Praxis kaum auf. Gleichzeitig mehrten sich Berichte über kritische Nebenwirkungen der New-Work-Ansätze. Die paradoxe Erkenntnis: Es bedarf einer beachtlichen Führungsleistung, um deren Umsetzung im Unternehmen nicht zu einem völligen Flop werden zu lassen.

Und dann kam Corona…

Wer gerade noch das eigene Verhalten an den Vorbildern des »Agilen Coachs« und des »Moderators auf Augenhöhe« orientierte oder gar Führung überflüssig machen wollte, stolperte plötzlich durch eine Welt entschlossen agierender Krisenmanager. Eine weltweite Studie mit 27.000 Manager*innen aus 48 Ländern belegte inzwischen die signifikante Zunahme autoritärer Führung während der Pandemie.

Nach dem ersten Schock kam es – insbesondere von Beraterseite − zu einer Verteidigungswelle: Man freute sich lautstark über den digitalen Schub, wies auf die hohe Anpassungsfähigkeit agiler Unternehmen hin und betonte Remote und Digital Leadership: Nur so könne man in der noch unberechenbarer gewordenen VUCA-Welt bestehen.

Die intensive Homeoffice-Situation sei der ultimative Beleg dafür, dass New Work nun vollständig in der Wirtschaft angekommen sei. Gerne werden Befragungen zitiert, in denen die Betroffenen ihre Zufriedenheit mit der Arbeit von Zuhause bekunden. Ein Schelm, wer darauf hinweist, dass Zufriedenheit ja keinesfalls bedeutet, erfolgreich und produktiv zu sein. Studien zur Frage der Leistungsfähigkeit übergreifender Homeoffice-Konzepte gibt es noch nicht, und die erlebten Einschränkungen schmerzen (vermisster persönlicher Austausch, sinkende Loyalität, reduzierte Kreativität, Entgrenzung von Berufs- und Privatleben…).

Erhebungen zeigen, dass es kaum Veränderungen gab, die mehr als das unvermeidbare Ergebnis der Corona-Beschränkungen waren. Der verstärkte Einsatz digitaler Technologien und Kommunikationsformen, der Homeoffice-Boom oder die virtuelle Zusammenarbeit: Offenbar aus der Not geboren! Die Produktivität leidet oft ebenso wie die mentale Verfassung derjenigen, die mit Doppel- und Dreifachbelastungen kämpfen. Wollen wir hier wirklich Vorzeichen eines Kulturwandels im Sinne des New Work erkennen? „Letztlich steckt auch hinter der viel beschworenen Demokratisierung der Unternehmen nur der Versuch, im Sinne der Profitmaximierung noch besser auf die Arbeitskraft des Mitarbeiters zugreifen zu können.“, meint Prof. Stefan Kühl von der Universität Bielefeld (Wirtschaftspsychologie aktuell, 2/2016, S. 58).

Resultate zählen

Viele Organisationen werden in den kommenden Jahren mit der Krisenbewältigung beschäftigt sein. Nach wie vor – oder vermutlich sogar stärker denn je − geht es um handfeste Ergebnisse. Alle Maßnahmen verlieren an Bedeutung, die nicht auf die Wertschöpfung einzahlen, der Liquiditätssicherung dienen oder zu Effizienz- und Effektivitätsgewinnen führen. Wenn Bahn-Chef Richard Lutz in der WirtschaftsWoche (09.04.2020) erklärt, „dass wir uns ganz viel davon auch in der Zeit nach Corona erhalten werden“, dann einfach, weil es „effektiv und effizient ist“. Facebook und Allianz wollen ihre Mitarbeiter*innen dauerhaft ins Homeoffice bekommen. Um berufliche Sinnstiftung geht es ihnen dabei nicht. Vielmehr denken sie ebenso in Einsparungspotenzialen, wie die „Daily News“, die ihre Büros ganz aufgeben will.

In Momenten der Wahrheit – wie wir sie häufig in diesen Zeiten multipler Krisen erleben – wird deutlich, dass erfolgreiche Führung nicht dadurch zustande kommt, das richtige Mindset zu haben, dem Zeitgeist zu folgen oder bestimmte Techniken einzusetzen. Ungeschminkt tritt plötzlich hervor, worum es in dieser Rolle wirklich geht: Dafür Sorge zu tragen, dass es gemeinsam (weiter) funktioniert!

Diese nüchterne Tatsache entzaubert viele New-Work-Mythen. Jetzt wird sich zeigen, worauf es tatsächlich ankommt – und was dem Zeitgeist geschuldet war.

Die Essenz der Führung

Es könnte eine wertvolle Nebenwirkung der Krise sein, differenzierter über die fundamentalen Kernaufgaben der Führung nachzudenken − und Gesinnungskriege einzustellen. Die wesentlichste Erkenntnis ist vielleicht: Führung ist kein Verhalten, sondern eine Aufgabe! Und die lässt sich nicht nur auf unterschiedlichste Weise erfüllen, sie verlangt auch ein sehr individuelles und situatives Vorgehen.

Das kann unter bestimmten Voraussetzungen Selbstorganisation, Homeoffice und agile Methoden erfordern. Unter anderen Bedingungen mögen aber auch klare Anweisungen, zentralisierte Entscheidungen und hohe Prozess-Disziplin sinnvoll sein. Eben deshalb ist die paradoxe Lage erklärbar, dass wir einerseits dominanten, unfassbar reichen Unternehmer-Persönlichkeiten huldigen − und zugleich fasziniert auf scheinbar führungslose Gemeinschaften von Aktivisten blicken.

Es ist schwer, in diesem widersprüchlichen Durcheinander nicht die persönliche Orientierung zu verlieren. Wird Führung stetig komplizierter? Wird sie völlig anders, überflüssig oder digitalisiert? Reinhard K. Sprenger ist skeptisch: „Ich erwarte etwas – und zwar nichts Neues. Auch nichts Neues in Bezug auf Führung, Vertrauen und Motivation. Allenfalls das Auffinden von Altem.“ (managerSeminare, Heft 267, Juni 2020). Damit steht er in der Tradition des Evolutionären Führungsmodells, das Führung als uralte Aufgabe beschreibt, die in Hunderttausenden von Jahren ´bleibende Spuren´ in uns hinterlassen hat.

Noch bleibt abzuwarten, welchen Einfluss die aktuellen Krisen langfristig auf unser Führungsverständnis haben wird. Im Kern geht es jedoch stets um die erfolgreiche gemeinsame Leistungserbringung. Zweifellos werden wir von jetzt an noch stärker herausgefordert, die individuellen Wünsche und betrieblichen Belange erfolgreich auszubalancieren. Dabei moralisierend von außen zu predigen, Manager*innen müssten nur „mehr vertrauen“, „häufiger zuhören“ und „Moderator und Coach“ sein, geht am Wesentlichen ihrer Aufgabe und Verantwortung vorbei!

Der Blog-Artikel basiert auf einer Veröffentlichung, die in PERSPEKTIVEN 11-12/2020 erschien.

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